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Montag, 28. September 1931 | Lokal-Anzeiger | (Abend-Ausgabe) Nr. 456 Seite 3 |
| KÖLN AM RHEIN | |
Frau Luna zierte sich!
Mit dem Westdeutschen Rundfunk auf der Suche nach der Mondfinsternis
Mikrophon im Scheinwerferlicht — Das Fernrohr auf dem Flugplatz
Am Samstagabend berichtete der Westdeutsche Rundfunk seinen Hörern über
die Mondfisternis. Mit Verstärkerwagen und Mikrophon hatte man sich auf
dem Flugplatz aufgebaut, um in der Unterhaltung mit einem Astronomen,
einem Mitarbeiter der Flugdienstwetterwarte, den Lauschenden die einzelnen
Phasen der Mondfinsternis zu erläutern. Wir hatten Gelegenheit, dieser
Veranstaltung beizuwohnen:
Seit ich die Einwilligung des Rundfunks besaß, der Aufnahme eines
Hörberichtes über die Mondfinsternis an Ort und Stelle beizuwohnen, war
ich nervös geworden. Denn — Regen und immer wieder Regen ist eine
schlechte Aussicht für ein derartiges Unterfangen. Als sich aber im Laufe
des Samstagnachmittages das Wetter besserte und die Sonne durchbrach,
besserte sich automatisch auch meine Laune: Die Mondfinsternis schien
mir gerettet zu sein.
Dr. Ernst (links)
vom Westdeutschen Rundfunk und Dr. Malsch von der Flugwetterwarte am Fernrohr
Vergnügt trabte ich gegen 8 Uhr mit Blitzlicht und Kamera in die Dunkelheit
hinter Ossendorf hinein. Und der Mond war vorschriftsmäßig nicht zu sehen.
Da alles einmal ein Ende hat, erreichte ich denn auch nach längerer Wanderung
den Flugplatz, dessen Gebäude fast alle in tiefem Dunkel lagen. Nur am
äußersten Ende schimmerten ein paar erhellte Fenster. Hinein, angeklopft,
gefragt. "Jawohl, die Sache ist schon in vollem Gange. Die Herrschaften
sind alle
draußen bei der Aufnahme."
"Draußen" — das war, wo eine undurchdringliche Finsternis über dem
weiten Gelände des Flughafens lagerte. Da blinkte plötzlich der Scheinwerfer
eines Autos auf und beleuchtete grell eine Gruppe Menschen, ein Mikrophon
und ein Fernrohr: die Gesuchten. Und trotzdem der Schein schnell wieder
verloschen war, fand ich nun meinen Weg.
Hallo! Allgemeine Begrüßung und Vorstellung im Dunkel! Rufe: "Vorsicht,
hier liegen Kabel!", "Vorsicht, noch eines!", und dann hatte mein Auge sich
genügend an die Finsternis gewöhnt, um zu erspähen, was hier vor sich ging.
Da stand das Fernrohr, auf das noch eine Kamera aufmontiert war, daneben
ein kleiner Tisch, davor der Ständer mit dem Mikrophon. Der Sprecher des
Rundfunks, Dr. Ernst, und der Astronom Dr. Malsch davor, gerade in
gespanntester Aufmerksamkeit den Himmel beobachtend.
"Wir nehmen ein Gespräch über die einzelnen Phasen der Finsternis auf
Schallplatten auf," sagt Dr. Ernst zu mir, "um 22.15 Uhr werden diese
Schallplatten durchgegeben und dann noch eine kurze Originalübertragung
als Abschluß. In zwei Minuten werden wir wieder fünf Minuten lang eine
Schallplatte besprechen, vielleicht sehen Sie sich das in unserem
Verstärkerwagen an."
Der Wagen, der stadtbekannte Wagen des Westdeutschen Rundfunks,
steht etwas seitlich. Ich höre, daß die Wechselspannung, die am Mikrophon
entsteht, nur etwa
1/1000 Volt
beträgt. Wollte man die Übertragung nach dem Funkhaus in dieser geringen
Stromstärke vornehmen, so würde erklärlicherweise dort kaum etwas
ankommen. Also wird in dem transportablen Verstärker, der in den Wagen
eingebaut ist, die Spannung auf ein Volt gebracht. Im Funkhaus wird sie
zunächst wieder der Mikrophonstärke angepaßt und dann erst auf die
Hauptverstärker geleitet. Von diesen geht sie entweder auf die Sender oder,
wie in unserem Falle, auf den Schallplattenaufnahmeapparat.
Dieser Aufnahmeapparat besitzt eine ähnliche elektrische Schalldose, wie
ein Grammophon. Nur hat diese Dose statt einer Nadel einen besonders
geschliffenen Edelstein, der eine hochpolierte, spiegelblanke, 3 bis 4 Zentimeter
dicke Wachsplatte beschreibt. Während bei dem Grammophon die
Stromimpulse durch die Rillen erzeugt werden, geht hier der Vorgang
umgekehrt: durch die Stromimpulse wird der Edelstein bewegt und schneidet
die Rillen. Der dabei entstehende Span muß sofort abgesaugt werden.
Während das alles mir noch erklärt wird, spricht draußen eine Stimme
ins Mikrophon:
"Wir fangen jetzt an!
Geben Sie Bescheid, ob Sie bereit sind!" Sofort läutet in unserm Wagen
das Telephon, und das Funkhaus meldet seine Bereitschaft zur Aufnahme.
Der Techniker öffnet ein Fenster und gibt den Bescheid nach draußen weiter:
"Achtung! Fertig!"
Und dann geht die Unterhaltung zwischen dem Gelehrten und dem
Sprecher des Rundfunks an. Der Techniker hört durch Kopfhörer mit und
reguliert dabei ständig die Stromstärke. Nach fünf Minuten:
"Und nun, meine Damen und Herren, kommen wir in etwa einer halben
Stunde wieder!"
Vorläufig Schluß! Ich klettere zum Wagen hinaus und möchte nun endlich
auch einmal durchs Fernrohr die Mondfinsternis sehen, der alles dies hier gilt.
Aber — —
der Mond ist weg!
Die Finsternis vollzieht sich hinter Wolken! Doch was nicht ist, kann ja
noch werden! Mut!
Der Techniker reguliert im Verstärkerwagen die Spannung
Die Nacht hier draußen ist gehörig kühl, der Rasen ist naß von
Feuchtigkeit, und so ziehen sich denn die Teilnehmer der Expedition in das
gemütlich geheizte Gelehrtenstübchen des Astronomen zurück, bis der nächste
Bericht durchgegeben wird.
Rings an den Wänden hängen Aufnahmen vom Mond und von den
Sternen. Herrlich klar sieht man die großen Ringgebirge des Mondes auf den
Photos, und als nun Dr. Malsch auch noch
eine riesige Mondkarte
herbeischleppt, um uns alles noch genauer zu zeigen, wird die Unterhaltung
äußerst interessant. Wir hören, daß die Wissenschaft über die Beschaffenheit
der Mondoberfläche sehr gut Bescheid weiß. Die Entfernung des Mondes zur
Erde ist so groß, daß, wollte ein Flieger in einem modernen Verkehrsflugzeug
zum Monde fliegen, er 85 Tage bräuchte. Wollte er aber bis zur Sonne fliegen,
dann müßten Sohn und Enkel ihn unterwegs ablösen, denn er wäre erst in
95 Jahren dort. An einem hübschen Beispiel erläutert uns der Astronom
Entfernungen und Größenverhältnisse von Sonne, Erde und Mond; einem
Beispiel, dem das Verhältnis von
1 : 1 Milliarde
zugrunde liegt: Denken wir uns auf der Domspitze eine Kugel von 1,39
Meter Durchmesser, die die Sonne darzustellen hat; vor dem Portal nehmen wir
eine Murmelkugel von 1,3 Zentimeter Durchmesser an, das wäre die Erde;
davon 38,5 Zentimeter entfernt stellen wir uns eine Schrotkugel vor mit einem
Durchmesser von 3,5 Millimeter: den Mond. Dann haben wir eine Vorstellung
von Größenverhältnissen und Entfernungen der uns so vertraut erscheinenden
Gestirne. Jemand aus der Runde fragt, wie die Mondgebirge eigentlich zu den
merkwürdigen Namen gekommen seien.
"Ja, sehen Sie", lautet die Entgegnung,
"man nennt den Mond auch den Kirchhof
der Astronomen,
weil so viele verstorbene Astronomen dort ihr Denkmal gefunden haben,
indem ein Mondgebirge ihren Namen erhielt."
Doch allmählich wird es Zeit, wieder hinauszugehen, wo der nächste
Bericht durchgegeben werden soll. Doch, o weh, immer noch ist kein Mond
zu sehen, obwohl der Himmel uns wolkenfrei erscheinen könnte. "Die Wolken
sind eben sehr hoch", werden wir belehrt. Aus der Flugwetterwarte kommt die
Nachricht, daß in Norddeutschland die Nacht sternenklar ist, so daß die
westfälischen Hörer mit mehr Genuß der Veranstaltung folgen werden als
die Kölner. Unser Mentor hat jedoch jede kleinste Phase der Mondfinsternis
im voraus errechnet, und mit Hilfe einer eigens konstruierten Zeichnung können
wir auf einer Mondkarte das verfolgen, was uns am Himmel verborgen ist.
Und mit ihrer Hilfe erlebt auch das Gespräch vor dem Mikrophon seinen
Fortgang. Wiederum nach fünf Minuten Schluß!
Es ist allmählich so spät geworden, daß die Veranstaltung im Funkhaus
beginnen wird. Wir gehen also zu den Funkern des Flugplatzes hinüber, um dort
aus dem Lautsprecher
von den Schallplatten zu hören,
was eben hier gesprochen wurde. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, als nun
aus dem Lautsprecher als Gegenwart ertönt, was für uns bereits Vergangenheit
ist. Die Zeit scheint zurückgekurbelt zu sein, denn Dr. Ernst und Dr. Malsch
besprechen den Beginn der Mondfinsternis, die doch nun fast beendet ist, und
lauschen lächelnd den eigenen Worten. Dann aber, während ihre Stimmen bei
uns bleiben, eilen sie selbst wieder zum Mikrophon, um nun ohne Schallplatte,
unmittelbar, ihr Gespräch zu beenden.
Als uns das Auto durch die Nacht nach Hause bringt, lacht über uns ein
herrlicher Vollmond — nun wo es zu spät ist. Aber . . . inzwischen sind einige
Stunden vergangen, denn notwendig hatten die Teilnehmer an der Fahrt zum
Mond sich erst einmal gründlich stärken müssen (Doch dies nur im Vertrauen!)