In diesem Thread möchte ich alles Wissenswerte über unser Hauptinstrument, den 9-Zoll Wachter Coudé-Refraktor sammeln.
Anschaffung: ============
1967 vom Kulturamt der Stadt Köln finanziert (mit ca. 30000 DM)
Favorisiert wurden damals entweder der Coudé-Refraktor oder ein etwa gleichteurer Reflektor mit 400 mm Öffnung. Rückblickend kann man den damaligen Vorstand zu der Entscheidung für den Wachter Coudé-Refraktor nur beglückwünschen, es war und ist das optimale Instrument für den Beobachtungsbetrieb einer Volkssternwarte ! Ergänzung 11.09.2022: Matthias Wirth erzählte mir gestern eine Anekdote, wie es zur Entwicklung der 9-Zoll-Version des Coudé-Refraktors kam. Unser ehemaliger 2. Vorsitzender Fritz Laudenklos kannte Dieter Lichtenknecker persönlich von Aufenthalten in der Feriensternwarte Calina in Carona. Beim dortigen Gespräch über die Angebotspalette der Wachter-Coudé-Refraktoren, die bis dahin bei 8 Zoll f/15 endete, diskutierten die beiden beim Rotwein, ob der großzügig bemessene 8-Zoll-Tubus nicht auch ein 9-Zoll-Objektiv vertragen könnte. "Das kriegen wir da schon rein" war schließlich der ungefähre Wortlaut von Dieter Lichtenknecker , der damit einen Favoriten für die Nachfolge des Pauly-Refraktors auf den Weg brachte. Und tatsächlich, Lichtenknecker entwickelte dann einen 9-Zoll-Halbapochromaten mit der gleichen Brennweite wie die des 8-Zöllers und paßte ihn an den 8-Zoll-Tubus an. Der Tubusinnendurchmesser von 222mm führte nur zu einer minimalen Reduzierung der wirksamen Öffnung. Problematischer war das erheblich höhere Objektivgewicht für die Halterung des langen Tubus. Bei der Revision des Refraktors (siehe unten) ersetzte Matthias Wirth deshalb die Schrauben, die im Tubus nur unzureichenden Halt fanden, durch längere, die auf der Tubusinnenseite in zusätzliche Aluprofile verschraubt wurden, die dem Tubus wesentlich besseren Halt gaben. Seitdem kam es nicht mehr zum "Durchrutschen" des Tubus in seiner Halterung beim Umschlagen der Montierung in die andere Tubusposition (d.h. beim Postionswechsel westlich oder östlich von der Rektaszenzionsachse), nur die Durchbiegung war noch merklich.
Daten: ======
Optik: 2-linsiger Halb-Apochromat mit Sondergläsern der Firma Lichtenknecker (Doku von Wolfgang Paech) (siehe auch Anhang 2 in dieser BAV-Dokumentation). Das optische System ähnelt vom Aufbau einem Fraunhofersystem, siehe Bild mit Linsenreflexen. Öffnung 225 mm 3 Umlenkspiegel: der größte lenkt das Licht aus dem Tubus um 90° in die (ein Stück weit hohl ausgeführte) Deklinationsachse um, der zweite ebenfalls um 90° in die hohle Rektaszensionsachse zum südlichen (unteren) Ende, der dritte und kleinste Spiegel lenkt das Licht noch einmal um 90° nach oben in die Okularrevolveraufnahme um, so daß ein bequemer Einblick an einem Pult sitzend ermöglicht wird. Das Bild ist durch die ungerade Spiegelanzahl immer seitenverkehrt ! Außerdem ist das Bild i.d.R. verdreht gegenüber dem Anblick mit bloßem Auge, was aber nur beim Mond auffällt. Durch die Nachführung ändert sich diese Verdrehung laufend, deshalb sind im Coudé-Strahlengang keine lang belichteten Fotos möglich. Okularrevolver mit Pentaxokularen XL 40 mm (75-fach) 28 mm (107-fach) 21 mm (143-fach) 14 mm (214-fach) Der Revolver ist zum Anschluß dieser 2"- und 1,25"-Okulare im Jahr 2000 mit Reduzierhülsen ausgestattet worden. Die Originalversion nahm ein 60 mm Wachterokular mit Schraubanschluß sowie 3 Okulare mit 35 mm Steckhülse auf (Kern-Aarau 35 mm und 15,5 mm, Zeiss 10 mm ortho mit Reduzierhülse). Die Vergrößerung konnte durch eine Kern-Aarau-Barlowlinse verdoppelt werden.
Sucherfernrohr 13x60 (ca. 60/780mm-Objektiv, 60mm-Wachterokular mit Schraubanschluß und Fadenkreuz) in 2 Justierhalterungen mit je 3 120° versetzten Justierschrauben; seit Dezember 2010 ist der Originalsucher ersetzt durch 2 9x60 Sucher von TS (Objektiv 60/234mm, Okular 26mm, nahezu baugleich mit diesem heute noch erhältlichen Sucher), deren Prismenschienenhalterungen in einem gegenseitigen Abstand von 90° zu beiden Seiten der Originalsucherhalterung befestigt wurden, und zwar in den bereits vorhandenen Madenschraubenlöchern des ersten Tubusgegengewichts.
Seit 1993 zusätzlich ein Filterrevolver mit Lumicon-Nebelfiltern
Die Sonnenbeobachtung erfolgte zunächst nur im Weißlicht (ganz früher mit einem Pentaprisma, dann mit einem Objektivfilter Tuthill Solarscreen aus einer Spezial-Alufolie, seit ein paar Jahren mit einem chrombedampften Glasfilter). Seit 1991 steht auch ein Projektionsschirm zur gleichzeitigen Weißlichtbeobachtung durch viele Besucher zur Verfügung. Für die seitenrichtige Mondbeobachtung steht anstelle des Okularrevolvers ein vierter Umlenkspiegel zur Verfügung der zusätzlich dank drehbarem Polfilter im 35mm-Steckokularanschluß für eine regelbare Dämpfung des sonst zu hellen Mondlichts sorgt. 1986 kam ein Protuberanzenfernrohr der Firma Lichtenknecker hinzu, das huckepack auf dem Wachter montiert war. 1994 wurde dieses Spezialfernrohr, dessen Handhabung schwierig und nicht ungefährlich war (sofort extreme Blendwirkung bei kleinen Nachführfehlern) durch ein H-alpha Interferenzfilter ATM 0,7 der Firma Daystar ersetzt, was nicht mehr nur Protuberanzen und Spikulen, sondern die gesamte Sonne mit Flecken, Flares und Filamenten und Granulen zeigte. Eine allmähliche Degradation des Filters vom Bildfeldrand her machte jetzt (2009) die Anschaffung eines neuen Filters notwendig, das zur Zeit in der Erprobung ist. Update 2011: Nachdem auch ein zweites Etalon in der Erprobung nicht soviel Detail zeigte wie der noch nutzbare Zentralbereich des Daystarfilters, wurde die Lösung mit dem neuen Filter für das Hauptinstrument endgültig verworfen. Statt dessen wurde von Matthias Wirth im letzten Quartal 2010 ein Spezialsonnenfernrohr gebaut, das seit Dezember 2010 huckepack auf den Wachterrefraktor montiert ist, und zwar in der Halterung des Originalsucherfernrohrs, das durch 2 neue kürzere 60mm-TS-Sucher ersetzt wurde (s.o.). Das neue Sonnenfernrohr besteht aus einem obstruktionsfreien Etalon (HWB 0,6Å) mit 60mm Öffnung in einer Kippfassung vor einer Zeiss C-Optik 63/840mm (Telementoroptik) in einer neu gedrehten Fassung, die gleichzeitig die Etalonfassung trägt und die Kippvorrichtung durchführt , einem Spezial-Leichtbautubus, einem 53mm-Okularauszug von einem Vixen FL102S sowie einem Blockfilter und einem Objektiv-Wärmeschutzfilter. Inbetriebnahme ist am 29.01.2011 nach Montage des z.Z. noch fehlenden Blendschutzes.
Mechanik: parallaktische Montierung IV der Firma Manfred Wachter, Stuttgart (Dokumentation von Elmar Remmert) mit Schrittmotorsteuerung in beiden Achsen Rektaszensionsmotor an Säule montiert; Antrieb über Gelenkwelle und 2-stufiges Schneckengetriebe; echter Nemec-Teilkreis mit Sternzeitmarkierung (LMST) am Montierungsgehäuse, dadurch auch Auffinden von hellen Sternen am klaren Mittagshimmel möglich (!); Ergänzung 5.9.2022: ein Nemec-Teilkreis ist durch eine Rutschkupplung oder z.B. wie im Fall der Wachter-Montierung durch zwei gegenüberliegende dicke Messing- Feststellschrauben mit dem Hauptschneckenrad gekoppelt. Zu Beginn der Beobachtung werden die Feststellschrauben gelöst und der Teilkreis so lange gedreht, bis an der LMST-Markierung die aktuelle Sternzeit eingestellt ist. Danach werden die Feststellschrauben wieder angezogen und die Teleskopklemmungen in Rektaszension und Deklination gelöst; das erste Objekt kann nun praktisch "blind" nur nach Teilkreisen eingestellt werden und wird trotzdem nach Öffnen der Kuppel sofort im Okular gefunden, selbst wenn in dieser Richtung nur eine kleine Wolkenlücke ist und ansonsten Wolken die Orientierung anhand der Sternbilder verhindern. Das ist selbst heutzutage nur bei ortsfesten parallaktischen GOTO-Montierungen mit Absolut-Encodern selbstverständlich und war in den 60er bis 00er Jahren ein selten zu findender Komfort, der das schnelle Auffinden interessanter Objekte erst ermöglichte und so Wartezeiten für das Publikum vermied. Mobile GOTO-Montierungen benötigen dagegen entweder zu Beginn ein Alignment anhand von bekannten Sternen (und ersparen deshalb nicht rudimentäre Kenntnisse des Sternhimmels) oder messen zu Beginn ihren Anfangsazimuth aus GPS-Empfangsdaten. Eine genauere Beschreibung des Nemec-Teilkreises findet sich in folgender Dokumentation auf Seite 6, letzter Abschnitt und Fußnote sowie Seite 7: Sanierung einer Sideres-Montierung
Hauptschneckenrad mit 320 Zähnen, Vorgelegeschneckenrad mit 18 Zähnen Die Originalnachführung bestand lediglich aus einem Doppelmotor für Rektaszension an der Säule (220 V Synchronmotor sowie magnetgekuppelter Zusatzmotor für die Schnellbewegung vorwärts/rückwärts).
1987-1988 erfolgte der Umbau auf Schrittmotorsteuerung sowie 1991 die Ausrüstung mit einem Deklinationsmotor (durch M. v. Bongardt und M. Wirth), der durch Ansteuerung des Deklinationsfeintriebs nur einen kleinen Winkelbereich (etwa +-5°) abfahren kann. Es kamen seit 1988 verschiedene Versionen von Schrittmotorsteuerungen zum Einsatz, Entwicklung und Bau wurden ausgeführt von: Dr. K. Güssow, H. Wiesehof, J. Finner
Wartung: ======== Im Jahr 1995 erfolgte eine Generalüberholung des gesamten Geräts durch M. v. Bongardt, M. Wirth und H. Wiesehof, bei der es komplett auseinandergenommen wurde. Dies war deshalb heikel, weil die Sternwarte keine Wartungsunterlagen besaß und Manfred Wachter damit auch nicht mehr dienen konnte, weil er seine Firma 1985 geschlossen hatte. So gab es einen bangen Moment, als der größte der Umlenkspiegel herabfiel und nur durch die schnelle Reaktion von Matthias Wirth aufgefangen wurde. Das Herabfallen war durch das Lösen von Halteschrauben verursacht worden, die wir mangels Dokumentation einer anderen Gruppe von Schrauben in ihrer Wirkung zugeordnet hatten. Bei der Wartung wurden alle Stahlteile entrostet und neu lackiert. Der Tubus (wegen des sehr langen Hebelarms aus relativ leichter harzgetränkter und lackierter Preßpappe) erhielt neue Befestigungsbohrungen da die alten ausgeschlagen waren. Alle optischen Flächen wurden in bewährt schonender Weise von unserem Optikspezialisten Matthias Wirth gereinigt. Ergänzung 11.09.2022: Die Umlenkspiegelhalterungen wurden von ihm ebenfalls modifiziert um Verspannungen zu vermeiden. Nach dem Zusammenbau wurde es noch mal schwierig: die Justage der 3 Umlenkspiegel durch I. Kelmes und M. Wirth war ein iterativer Prozeß, der einiges Probieren und Nachdenken für die korrekte Zuordnung von Bildkreisverschiebungen zu den diversen Justageschrauben erforderte (siehe angefügtes Bild von H. Wiesehof). Eine 100%ige Justage ist wegen der Tubusdurchbiegung aber ohnehin nicht machbar.
Last Light: =========== Im Jahr 2012, nach 45jähriger Betriebszeit, wird der Wachter Coudé-Refraktor durch ein neues Teleskop ersetzt. Das Last Light wird am 13.07.2012 stattfinden, letzte Beobachtungsgelegenheit für die Öffentlichkeit ist aber bereits am 06.07.2012.
Künftige Nutzung: ================= Update 2020: Im Jahr 2016 konnte der Refraktor durch APM/Markus Ludes als Hauptinstrument an die Sternwarte Remplin vermittelt werden, wo er 2017/18 ein zweites First Light und diverse Umbauten der Elektromechanik erfuhr.
Verbreitung dieses Refraktortyps: ================================= Laut einem hochinteressanten Artikel über das Lebenswerk Manfred Wachters in SuW 07/2007 sind von den großen Coudé-Refraktoren der Öffnungen 200 bzw. 225 mm nur rund 20 Stück gefertigt worden, und zwar von 1965 bis 1976.
Hier sind/waren die Links zu 6 Schwesterinstrumenten, die ich bis jetzt gefunden habe:
So, das soll erst mal genügen, hoffe Euch fällt zu dem Thema auch noch was ein Ich werd auch noch aktuelle Bilder und was zur Bedienung des Refraktors uploaden, wenn's fertig ist.
Aufruf: Wer noch alte Fotos aus der Kuppel mit dem Refraktor hat, bitte bei Ingo Kelmes in der Sternwarte melden. Damit ließen sich die verschiedenen Ausbaustufen besser nachvollziehen
ich finde diese zusammenfassenden Instrumentengeschichten sehr schön und sie sollten fortgesetzt werden mit dem Pauly-Refraktor, welcher ja auch ein sehr lebhaftes Schicksal hat.
Im Wachter-Artikel ist ein sachlicher Fehler enthalten: Der Steckhülsendurchmesser am Original-Okularrevolver des Coude war 35mm, nicht 34mm. Damals waren die internationalen 1.25" und 2" Okulare in Europa noch nicht in Gebrauch.
Die Schweiz hatte 35mm Steckhülsen Deutschland hatte 31mm Steckhülsen Japan hatte 24.5mm Steckhülsen Die deutsche Firma Heidenhain bevorzugte Mikroskopokulare mit 23.2mm Steckhülsen
Die europäischen Hülsen waren nicht mit Klemmschrauben versehen, sondern geschlitzt als Federklemme ausgeführt. Ab Mitte der 70er Jahre verschwanden dann zum Glück diese lokalen Normen zugunsten der international verwendeten 1.25" und 2", was uns heute allen das Leben beim Okularkauf sehr erleichtert!
Gruß Gerd
Ich sah es an, und es sah mich an; und errötend wich es zurück - das Universum.
Habe heute unter Einbeziehung einer riskanten Kletterpartie auf das Dach des Kuppelvorraums endlich die fehlenden Fotos vom Wachter Refraktor gemacht und hier eingefügt. Auf meinen Aufruf für historische Fotos habe ich leider bisher keine Rückmeldung erhalten. Ich hoffe die Fotos eignen sich, um unser Hauptbeobachtungsinstrument in bester Erinnerung zu behalten...
Anbei ein Katalog mit alten Fotos des Wachter-Refraktors aus dem Zeitraum 1980-2000. Alle von Vereinsmitgliedern, keines von mir und nur bei dem Bild "Drehen" kenne ich den Fotografen. Jedes davon habe ich auch in grossen Grössen da.
Sorry - habe den Mangel erst jetzt bemerkt!
T Tauri
"Wir spalteten das [U] und verschmolzen das [H], nur das [D] versteckt sich noch als DUNKLE MATERIE vor uns . . ."
Das Bild von der Wartung 1995 könnte von Her(i)bert sein, wir waren ja zu dem Zeitpunkt nur zu viert oder fünft in der Kuppel. Ob jetzt mit oder ohne i müßte ich noch rausfinden...
die Bilder Wachter3.tif und Kuppel_Unicenter.tif habe ich seinerzeit für die damals genutzten Tonbildschauen erstellt. Das Bild Hahn_Mond_1991.tif stammt von einem Pressefotografen, der das seinerzeit für einen Artikel zur Wahl eines neuen Vereinsvorsitzenden gemacht hatte.
vielen Dank für die Bilder, habe sie mit Copyrightvermerk versehen und angefügt. Bzgl. dem Bild von der Wartung muß ich noch nachfragen, von wem das ist
edit 27.06.2013: Habe übrigens inzwischen mal nachgehakt, das Bild von 1995 ist wahrscheinlich von Heribert !
Was hältst Du von Fotos einiger Zubehörartikel, die am und mit dem 9"-Wachter Geschichte machten?
1) Das alte DAYSTAR-H-Alpha-Filter im Zenitspiegel zur Beobachtung eingesteckt.
2) Das 50mm-Erfle im Zenitspiegel zur Beobachtung eingesteckt.
3) Und als letzter "Umbau" vor der finalen Demontage: Die "Rückbestückung" des Okularrevolvers mit dem Quartett seiner alten Okulare - mit denen (und dem alten 10x70 Sucher) er vermutlich an den/die nächsten Besitzer übergeben wird. Die teuren Pentax-Okulare und das frisch erworbene so praktische Sucher-Quartett behalten wir doch hoffentlich, wie ich annehme?
Viele Grüsse
T Tauri
"Wir spalteten das [U] und verschmolzen das [H], nur das [D] versteckt sich noch als DUNKLE MATERIE vor uns . . ."
Vielen Dank für diesen schönen Bericht. Ich habe 1985 als Schüler mit dem "Schwester-Fernrohr" am Gymnasium Neunkirchen so manche Nacht in der dortigen Kuppel verbracht. Die Bilder und Detailiformationen (die uns damals pre-Internet nicht zugänglich waren) wecken viele Erinnerungen.